Das Tagebuch von Anton vom Fuße des Westerwaldes

 

Die Beine wollen nicht mehr Ein kurzer wacher Blick Frauchen??? So m�de ohne Worte Pl�tzliche Angst Letztes Picknick Ich mag nichts fressen. Abschied von Frauchen Danke f�r alles Bis bald

<<<... Lebende sind nur Tote auf Urlaub, schreibt Hermann Kasack in seinem Buch "Die Stadt hinter dem Strom". Während Herrchen die letzten Zeilen für mich tippt (bei Menschen schreibt man darunter: Nach Diktat verreist), mache ich das, was ich für mein Leben gerne gemacht habe: Ich sitze im Zug. Endlich bin ich völlig entspannt. Wir fahren über den Fluss; ich kann die Stadt schon sehen. Ich freue mich darauf.

 

Aus dem Lautsprecher höre ich die Ansage: "Wer hierher kommt, der tut gut daran, das Wissen des Verstandes wie Ballast über Bord zu werfen. Logik und Verstand, worauf der abendländische Mensch so stolz ist, trüben das Bild der Natur. Denn - was ist Natur?"

 

Drei Ärzte haben haben mich untersucht und behandelt, klassisch westlich und noch klassischer östlich, mit den Methoden der modernen Apparatemedizin und denen der Tierkinesiologie. Alle sind sie zum gleichen Ergebnis gekommen: mein dramatischer gesundheitlicher Abbau ist mindestens so aufregend wie mein ganzes schönes Leben war. Die Blutbilder haben gezeigt, dass keine Viren oder Bakterien mich umgebracht haben. Für eine degenerative Myelopathie ging mein Verfall viel zu schnell und für eine Coniin-Vergiftung zu langsam.

 

Über das Wochenende hatte ich rund um die Uhr Betreuung durch Frauchen und Herrchen. Ich konnte keinen Schritt mehr gehen, nicht mehr aufstehen. Keines meiner Beine wollte, wie ich wollte. Ich habe nichts fressen wollen und oft meine Leute gar nicht erkannt, wenn sie zu mir kamen. Ich habe ihre Berührungen geliebt, aber das Zittern und Zucken am ganzen Körper habe ich nicht aufhören können. Ich war tot müde von einer durchwachten Nacht und habe dennoch kein Auge zu machen können. Und selbst in Frauchens Armen konnte ich nicht aufhören zu zittern.

 

Heute morgen musste mich Herrchen ins Auto tragen. Vor der Praxis hat er mich auf die Straße gesetzt, aber ich bin nur umgefallen. So hat er mich noch in den Warteraum tragen müssen. Und dann noch einmal in den Behandlungsraum.

 

Alle drei Ärzte haben mit Herrchen von mir Abschied genommen. Nach der Injektion habe ich ganz entspannt geseufzt, dann habe ich mich kurz hingelegt und ausgeruht.

 

Kurz darauf bin ich in den Zug gesprungen. Ich habe gehört, dass ich so lange in der Stadt hinter dem Strom bleiben muss, bis mich die Menschen auf der Erde vergessen haben...

Da habe ich bestimmt genug Zeit, meinen Opa Anton und meinen Ziehpapa Com-Barry zu treffen.

 

 

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E P I L O G

 

Diagnose der Mediziner:
akute idiopathische Polyradikuloneuritis, progressiver Verlauf.
Im Krankheitsverlauf zeigt sich pathologisch eine extensive Demyelisierung, entzündliche Infiltration und Unterbrechung der Axone und peripheren Nerven. Das Krankheitsbild ähnelt dem Guillain-Barré-Syndrom des Menschen, welches eine immunologische Pathogenese hat. Obwohl die Symptomatik vergleichbar der degenerative Myelopathie ist, ist dies unwahrscheinlich, da der Krankheitsverlauf in der Regel über einen längeren Zeitraum verläuft. Differentialdiagnostisch wurden ausgeschlossen (Blutbild und Therapie):
Zecken übertragene Erkrankungen ("Zeckenparalyse"), Toxoplasmose, Protozoen und Botulismus.
Das passende Bild im Endstadium entsprach dem Arzneimittelbild Conium maculatum aus der Sicht der klassischen Homöopathie.