Das Tagebuch von Anton vom Fuße des Westerwaldes

                                   

<<<... November ist immer so ein besonderer Monat im Jahr. Herrchen läuft durch Geschäfte und sucht mal wieder -und wie immer vergeblich- eine Schaffelljacke für sich, Frauchen holt den langen Mantel mit dem Fell vom Speicher und ich muss auf meinen Spaziergängen eine Regendecke tragen, wenn sich die Himmelsschleusen öffnen. Im Großen und Ganzen aber finde ich persönlich die kalte Morgenluft unheimlich angenehm. Wenn mein Atem wie eine Fahne neben mir herschwebt, bekomme ich eine Leichtigkeit in die Pfoten wie ein junger Tänzer, wie zum Besipiel auch auf einem unserer vielen Wanderausflüge in den Weinbergen der Ahr (Bilder 1-3).
Aber das Wetter ist längst nicht das Beste an diesem Monat. Wer sieht, wie ich für eine 20 Minuten Runde plötzlich 45 Minuten brauche, wer beobachtet, wie sich meine Nase an Flecken auf der Erde förmlich festsaugt und die Beine zu Stützsäulen werden, die jedes Weiterziehen an der Leine kontern können, der wahrnimmt, wie meine Lefzen vibrieren und ein Anflug von Schaum mein Maul umspült, der weiß, es gibt wieder mindestens eine läufige Hündin in meinem Revier. All' diese Symptome zeige ich natürlich jährlich mindestens zweimal, so dass sie als solche keinen eigenen Bericht mehr rechtfertigen würden, aber dieses Mal haben meine Menschen plötzlich auch hier und da einen blutigen Tropfen auf ihren Kacheln gefunden. Und das hat sie alarmiert.
So bin ich nach langer Zeit mal wieder außerhalb der Impftermine zu meinem Arzt gekommen. Im Wartezimmer: Leinen los. Von dort renne ich vor ins Behandlungszimmer und sitze schon auf der Waage, wenn Arzt und Herrchen endlich auch ankommen: 42,5 kg; ein tolles Kampfgewicht für einen 5-jährigen Berner.
Während der Behandlungstisch noch heruntergefahren wird, springe ich schon einmal herauf; und da ich mich auf Herrchen verlassen kann, setze ich mich gleich quer in Untersuchungsrichtung zum Arzt, während Herrchen meinen Hintern abstützen kann, damit ich nicht vom Tisch rutsche.
Erster Augenschein, ich sehe gesund aus, die Demodikose ist vergessen, eine kleine Warze auf der Schulter fast normal, völlig ungefährlich, wie der Arzt sagt. Dann aber muss ich stehen, er wühlt mit einem Finger in meinem Po herum und sagt dann, die Prostata sei vergrößert. Hätte er mich gefragt, hätte ich es ihm auch sagen können. Als Mann sollte er wissen, dass meine Prostata mit Hormonen zugedröhnt wird, wenn ich von den Gerüchen der Damen derart attackiert werde. Ich bin liebeskrank.
Für mich gab es jedenfalls Antibiotika und für Herrchen die Aufgabe, am nächsten Tag eine Urinprobe vorbeizubringen. Und zwar eine von mir!
Dass das nicht ganz einfach werden könnte, hatte sich der Arzt wohl schon gedacht, denn er machte den Vorschlag, Herrchen solle eine Suppenkelle an einen Stiel binden und damit meinen Urin auffangen. Dabei konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen und die Bemerkung: Das schaffen selbst Akademiker.
Den Abend verbrachten Herrchen und Frauchen mit diversen Alternativlösungsansätzen. Frauchen dachte in Richtung Plastiksack an Regenmantel anhängen, Herrchen an kleinen Eimer. Der nächste Morgen sollte entscheiden.
Herrchen und ich also vor dem Frühstück und vor der Schule durch den dunklen Park: ich an ungewöhnlich kurzer Leine, Herrchen bewaffnet mit einem 3 Liter Eimer. Kaum stehe ich neben meinem ersten Busch und will das Bein heben, springt er heran. Natürlich habe ich ihm sofort Platz gemacht. Wenn er an meiner Stelle markieren will, soll er doch, er ist das Alphatier.- Nächster Baum, gleiches Spiel. Immer wenn ich ansetze, das Bein zu heben, fuchtelt er mit dem Eimer an meinem Hintern herum. Also verdrücke ich mich fast völlig hinein in die Büsche und siehe da, er kommt mit dem Eimer nicht mal in die Nähe!
Aber ich hab nicht mit seiner Zähigkeit gerechnet; ganz am Ende des Spazierganges ist er so schnell mit dem Eimer da, dass ich nicht daran vorbeipinkeln kann; er hat seine -wenn auch nur kleine- Urinprobe.
Vor dem Frühstück bekam ich jetzt jeden Tag anderthalb Tabletten von einer Größe, die man leicht wieder ausspucken kann. Und damt war ein neues Spiel geboren: Herrchen kniet vor mir, schiebt mir zwei Tabletten durch die Lefzen und Zahnlücken ins Maul und hebt mit der anderen Hand meinen Kopf. Während er mir das Maul zuhält und mir ein Stückchen altes Weissbrot zeigt (meine Lieblingsspeise!), arbeitet meine Zunge im Akkord, um auf engstem Raum die zwei Tabletten zu finden, zu sammeln und nach vorne oben zu schieben. Bedingt durch Newtons Erfindung der Gravitation stellt sich natürlich dieser Schubrichtung ein unendlicher Speichelfluss entgegen, der die Übung etwas schwieriger macht. Das Schlimmste aber ist, dass in dem Augenblick, da ich bereit bin, die Tabletten vorne durch die kleinen Schneidezähne zu spucken, mir das Weissbrot gereicht wird. Da kann ich nicht anders, ich mach das Maul auf, schnappe nach dem Brot, beisse zweimal darauf herum und schlucke aus Versehen alles, Brot und Tabletten. Aber ich arbeite noch ein meiner Technik! Ich glaube, es ist zu schaffen, dass ich das Brot kriege und hinterher immer noch die Tabletten ausspucken kann.

Eine Woche später die Bestätigung vom Arzt, im Urin sind Prostatazellen, aber die Schwellung und/oder Entzündung ist leicht zurückgegangen, ich bekomme für eine weitere Woche Antibiotika. Als Perspektive bietet der Arzt Herrchen zwei Behandlungswege: er kann mich kastrieren lassen (Nebenwirkung offiziell: ich bekomme ein Fell wie eine Sofafüllung und nehme 20 kg zu) oder ich bekomme Hormondepots implantiert. Da Herrchen selbst gerade erst mit Mühe 10 kg abgenommen hat, vertraue ich darauf, dass ihn 20 kg Gewichtszunahme bei mir richtig gut erschrecken können.

Seit drei Tagen ist Frauchen weg. Eigentlich waren wir wie so oft nur eben zum Bahnhof gefahren, haben sie ausgeladen, aber dann ist sie abends nicht wieder zurückgekommen. Herrchen war selbst auch bei seinem Arzt (ich möchte zu gerne mal wissen, ob er auch noch so elegant auf den Behandlungstisch springen kann), weil er ganz dicke Mandeln hatte und nicht mehr sprechen konnte. Jetzt liegt er den ganzen Tag im Bett oder auf dem Sofa, während ich eingedreht unter seinem Schreibtisch liege und mich nirgendwo im Haus mehr blicken lasse. Seit vier Spaziergängen habe ich mein Geschäft verweigert und fressen tue ich auch nichts mehr. Ich bin liebeskrank.
Na gut, den Hungerstreik habe ich nur 30 Stunden durchgehalten. Ist ja auch lieb, wie Herrchen versucht, meine abendlichen Zirkusübungen mit mir zu machen. Danach habe ich aber mein Fressen wieder verweigert und prompt musste ich ohne Fischchen ins Bett. Ein blöder Laden ist das hier!
Gestern Abend ist Herrchen mit mir in den Park gegangen, und da waren Hunderte von kleinen Menschen mit Lampen, eine Musikkapelle, ein Mann auf einem Pferd, und auf der Wiese brannte ein riesiges Feuer. Irgendwie hat mich das Ganze etwas irritiert, ich habe jedenfalls meinen Kackstreik vor Schreck vergessen. Naja, und was entleert wird, muss gefüllt werden; seit heute fresse ich also auch wieder. Heute Abend werde ich aber sicher völlig ausrasten. Wenn ich auf den Bahnsteig komme, werde ich den ICE schon riechen können. Wenn er einfährt, werde ich Frauchen schon riechen können. Wenn die Menschenmasse aussteigen, werde ich schon mal quietschen und jaulen und an der Leine herumspringen, bis sie mich gefunden hat. Und dann wird das Leben wieder schön werden.

Fast drei Wochen lang durfte ich tagein tagaus unter meinem Schreibtisch liegen, weil Herrchen krank war. Für einen fünfjährigen Bäri ist das schon ein tolles Leben: unter dem Schreibtisch schlafen, ein paar Schritte zur Wasserschale, ans Bett von Herrchen, umfallen, weiterschlafen, zur Wasserschale und zurück unter den Schreibtisch. Mit dem Stress kann ich gut leben; so werde ich garantiert 15!
Jetzt aber, wir schreiben den 1. Dezember, sind wieder alle auf den Füßen, und ich muss mir die Pfoten abfrieren. Es hat schon geschneit, die Höchsttemperatur soll heute -6° C erreichen und die Nachbarn haben die Straßen gesalzen, als wollten sie sie essen. Im Garten ist der Schnee fast unberührt. Heute schaue ich mal im Hellen nach, was ich unter der Tanne ausgraben kann. Sie ist mein Lieblingsversteck, wenn mich das Klopfen des Regens im Kamin erschreckt und ich aus dem Haus stürmen mag. Natürlich hat keiner hier im Haus Verständnis für meine Unruhe (Angst will ich es ja nicht nennen!), also muss ich sie zuweilen verschleiern und so tun, als müsste ich dringend auf die Toilette. Wenn dann jemand schlaftrunken darauf hereinfällt und mich um 3 Uhr morgens in den Garten lässt, dann bin ich weg unter meiner Tanne. Und dort komme ich überhaupt nur noch heraus, wenn man mir ein Halsband überwirft. Dass es dagegen kein Mittel der Verteidigung gibt, weiss ich, also trotte ich dann auch einfach wieder mit ins Haus.
Heute aber darf ich im Schnee spielen, was ich auch gerne tue (Bilder 9-13). Aber ich bin nicht blöd, friere mir keine Zehen ab. Nach einem ausgiebigen Rundgang gehe ich von ganz alleine zurück ins Haus und schlafe wieder mal eine Runde unter meinem Schreibtisch.

2. Advent, Weihnachtsstimmung. Nicht bei mir! Heute morgen ist mir Arco im Park begegnet, ohne Leine, aber mit hinterherfliegendem Herrchen. Arco war aber schneller, war sofort bei mir und wir haben uns ein wenig gefetzt. Gerade so, dass Frauchen sich nicht richtig aufregen musste, aber genug, um dem Kerl zu zeigen, dass er mir lieber aus dem Weg gehen sollte.
Zuhause habe ich dann ein paar Blutstropfen auf die Kacheln gelegt, so dass ich wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit erhaschen konnte. Aber meine Verletzungen wurden als nicht ernstzunehmend abgetan: zwei Krallen bluteten etwas und eine kleine Risswunde in der Wange.
So habe ich sie dann auch gleich wieder vergessen, als wir im Adendorfer Wald eine Runde durch Schnee und Eis gedreht haben.
Bei -4° C fühle ich mich pudelwohl, da gibt es nichts Schöneres, als wie verrückt vor und zurück zu rennen, den einen oder anderen Menschen aus meinem Rudel aufzuspüren, wenn er oder sie sich wieder hinter einem Baum verlaufen hat, und zu schnuppern und zu schauen und zu rennen, bis der Sprit alle ist.
Ich liebe den Winter!

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