Das Tagebuch von Anton vom Fuße des Westerwaldes

 

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<<<... Vier Sterne ist keine Kapitelüberschrift, die auf meinem Mist gewachsen ist, denn erstens interessieren mich Sterne nur sehr bedingt, was eine intellektueller Euphemismus ist für: "die sann mir wurscht!" Zum anderen tue ich mich mit dem Zählen ungeheuer schwer. Das aber ist genau der Punkt, an dem Herrchen gerade regelmäßig auf dem Balkon sitzend herumnörgelt. Wie wer was zählt.
Und das ist das Problem für ihn: Wir waren in der letzten Woche auf Schloss Rosenau zu Gast, und das hat vier Sterne. Herrchen meint, das ist so, weil Margit uns als Gäste mit einem Glas Sekt begrüßt (und mich mit einem Leckerli), weil das Zimmer schön groß ist und unheimlich stilvoll eingerichtet, weil alles sehr sauber ist, weil Herrchen die Sauna einschalten darf, wenn er sie nutzen möchte und weil das Essen viel besser schmeckt, als irgendwo anders, und weil die Kellnerin unheimlich lieb ist und weil die Rosen so gepflegt blühen und der Park so groß ist und, und und.

Nun sind wir in der Nähe von Salzburg, in Faistenau in einem Hotel, das hat vier Sterne im Namen und das Wort alt. Das Wort alt macht Herrchen überhaupt keine Probleme in seinem Verständnis, denn, obwohl das Schloss richtig alt war, sieht diese Behausung noch älter aus. Die große Suite ist von der Ausstattung mindestens zehn Bernergenerationen alt; was an Farbe inzwischen abgeblättert ist, wurde in einer nur ähnlichen Farbe nachgestrichen, damit man immer sehen kann, was Gäste schon alles abgenutzt haben.
Begrüßt wurden wir von einem Mädchen, das keine Lust hatte uns zu begrüßen, deshalb gab es nur mehr oder minder kommentarlos einen Zimmerschlüssel und einen Hinweis, wo etwa die Suite zu suchen sei. In den Zimmern gibt es einen Safe, den kann man aber gar nicht aufschließen; Herrchen meint, deshalb heißt er hier Safe, er ist vor Inhalt völlig sicher.
Wenn man sucht, findet man einen ganz tollen Wellnessbereich, in den ich nicht hineingehen darf. Herrchen unnd Frauchen haben nach vier Tagen aber immer noch kein System erkannt, wann die Sauna beleuchtet, aber ungeheizt, unbeleuchtet und ungeheizt oder beleuchtet und geheizt wird. Schriftliche oder mündliche Hinweise hierzu gibt es wohl nur auf Verlangen.
Das Schlimmste aber für Herrchen ist, dass er erst nach dem Urlaub anfangen wollte, abzunehmen. Das hat aber schon jetzt angefangen, denn die Küche macht ihm gar keinen Spaß. Die Gerichte kommen im Look von Krankenhausessen daher, an guten Abenden sieht es auch schon mal nach Kantinenessen aus. Schmecken tut es aber weder so noch so, denn der Koch kennt nur eine Art der Zubereitung: in Essig ertränken. So ist zum Beispiel im Blaukraut mit Äpfeln kein einziges Apfelstück, denn diese Ankündigung heißt nur, dass der Rotkohl nicht in irgendeinem Essig eingelegt wird, sondern in Apfelessig. Überdies kommt der morgendliche Früchteyoghurt abends als Salatdressing, der Shrimpscocktail vom Vortag mit verlängerte Essigsauce zwei weitere Tage lang als Highlight eines seltsamen Salatbuffets. Selbst ein Cordon bleu schmeckt nach paniertem Bierdeckel; diese Kreaitivtät des Koches, sofern er nicht längst pensioniert worden ist, begeistert laut hauseigener Werbung Feinschmecker von nah und fern.

Herrchen rechnet daher wie folgt: Entweder es gibt hier einen Stern für die Zimmerausstattung, einen Stern für das Essen und zwei Sterne für den Wellnessbereich, wenn die Sauna geheizt wird, oder es gibt einen Stern für das Hotel innen und drei Sterne für die Aussicht vom Balkon, also Hotel außen, in jedem Fall gibt die Summe vier Sterne.

Weil aber Herrchen ohnehin gar nicht zunehmen will, sagt er, ich solle mir keinen Kopf wegen seiner Rechnerei machen und lieber von der tollen Landschaft und unseren Spaziergängen mit und ohne Regen erzählen.

Tatsächlich bekomme ich jeden Tag einige Kilometer unter die Tatzen, ohne Rücksicht auf das Salzburger Wetter. Gleich nach unserer Ankunft in Faistenau bekam Herrchen einen Anruf von seinem Freund und Kollegen aus Londoner Tagen, er möge samt Rudel nach Ebenau auf ein Glas Wein kommen. Als ich den steilen Garten zum Haus hinauf rannte, habe ich mich erinnert: hier war ich schon einmal gewesen: 2006.
Die nächsten Tage verbrachten wir dann damit, die Wanderroutentipps von Gerhard abzuarbeiten und zogen immer andere Runden um die Berge bei Faistenau oder den Hintersee und den Fuschlsee. Gestern Abend dann der erste Aufreger überhaupt: ich bekam keine Gelegenheit für meine täglichen Zirkusübungen, keine Abendfutter, nicht mal ein Gute-Nacht-Fischchen. Und das alles nur, weil ich aus dem Maul blutete.

Natürlich kaue ich gerne auf Stöcken und Baumstämmen herum und seit ein paar Jahren wachsen ganz langsam Epuliden zwischen meinen Backenzähnen. Der Tierarzt hat schon gesagt, er entfernt sie, wenn er mir die Zähne putzt; aber da ich nicht das stärkste Immunsystem habe, will er damit so lange wie möglich warten, da er sich nur an mein Maul herantraut, wenn er mich in Vollnarkose hat. Die Vollnarkose hält er aber nicht für empfehlenswert, sonst hätte er mir ja auch meine Hüften geröntgt, als ich anderhalb Jahre alt war.
Nun also habe ich mir eine Wucherung mit einem Stöckchen total aufgerissen bzw. fast abgerissen, so dass sie noch an einem dünnen Stück Haut neben dem Zahn hängt. Und weil das fürchterlich geblutet hat, habe ich abends nichts zu fressen bekommen. Nachts hat dann Herrchen mit der Taschenlampe in meinem Maul nachgeschaut und bestimmt, dass ich ab dem Frühstück wieder Futter haben darf. Glück gehabt.
Frauchen brauchte nie um ihr Futter bangen, obwohl sie auch einen Unfall hatte: ihr hat eine Wespe in die Schläfe gestochen, weil sie sich im Brillenbügel verfangen hatte. Nun hat Frauchen seit zwei Tagen ein dick geschwollenes, blutunterlaufenes Auge, und die Gäste im Hotel sagen kein Wort, schauen aber Herrchen und mich immer ganz komisch an. Ich kann aber in ihren Augen sehen, dass sie mich für unschuldig halten; ich bin einfach offensichtlich viel zu lieb! (Pech gehabt, Herrchen!)

Draußen prasselt der Regen nieder, und drinnen ziehen sich meine Herrschaften weiße Bademäntel an, ein sicheres Zeichen für mich, dass sie in die Sauna verschwinden und ich ein paar Stunden meine Ruhe haben werde. Ich lege mich vor Herrchens Bett und entschwinde ins Traumland:
Frauchen geht wie jeden Tag vor mir quer durch den Speisesaal, sie hat immer noch ein dickes, blaues Auge. Ich laufe mit offenen Lefzen hinter ihr her, dabei fällt hier und da ein dicker Tropfen Blut auf den Boden. Ich mache mir einen Spaß und humpele fast unmerklich, gerade so, wie ein guter Schauspieler einen Betrunkenen spielt. Ein guter Schauspieler spielt nämlich gar keinen Betrunkenen, sondern jemanden, der zu viel getrunken hat und jetzt versucht, einen Nüchternen zu spielen. So humpele ich durch den Saal und hintendrein läuft Herrchen, völlig unversehrt. Die Leute an den Tischen tuscheln, sie schauen uns nach; ein Gast steht auf und verläßt den Saal. Ich lege mich wie immer unter unseren Tisch.
Statt der Kellnerin im Dirndl kommt der Gendarm in Uniform; er nimmt Herrchen einfach mit. Ein anderer Gendarm setzt sich zu Frauchen an den Tisch, fragt, was passiert sei. Frauchen antwortet nicht. Der Gendarm beugt sich unter den Tisch, will sagen: Und was ist mit dem..., aber da knurre ich ihn schon an und er richtet sich schnell wieder auf.
Er nimmt nun Frauchen mit, steckt sie in ein Polizeiauto und fährt los. Ich laufe hinter her, quer durch das große Tal, das Auto ist schneller, ich verliere es fast aus den Augen. Da schießen sie mit ganz dicken Kanonen auf mich. Ihr Donnern kommt als Echo von den Hängen...
Frauchen und Herrchen stehen vor mir im Zimmer, sie tragen die weißen Bademäntel. Frauchen streichelt mir über den Kopf, fragt: Na, hast Du Angst gehabt im Gewitter?
Ich, Angst gehabt? Ich hab geschlafen. Glaube ich.

Meine Menschen machen sich auch in der zweiten Nacht Sorgen um mich, da mein Epulis nur noch neben dem Zahn baumelt und eine Blutvergiftung möglich ist. Sie überlegen, ob sie noch hier im Salzburgischen einen Tierarzt suchen sollen oder aber in Oberösterreich oder gar erst wieder zurück in Deutschland, da ich ja in Vollnarkose behandelt werden muss. Ich kann solche Gedanken gar nicht ertragen, habe ihnen daher heute morgen kurz vor der Abreise die abgelöste Wucherung einfach auf den Teppich gespuckt. Nun sind alle happy, und wir können weiterfahren, ohne irgendwelche Arztbesuche einzubauen.

Beim Auschecken fragt Herrchen, ob der Küchenchef wegen der Salzburger Festspielwoche Urlaub habe oder schon verstorben sei, und erfährt, dass dieser "normal" gearbeitet habe. Warum Herrchen sich nicht früher über das Essen beschwert habe, erklärt er damit, dass er das Essen fast allabendlich zum größten Teil habe zurückgehen lassen, was die Kellnerinen mit zynisch wirkendem "War alles recht?!" quittiert hätten, und der Chef des Hauses, den man nur vom Prospektfoto kenne, habe sich nicht einmal blicken lassen. Als Trost, Entschuldigung oder Wiedergutmachung gab es zum Abschied eine Flasche Rotwein. Wenn ich das Gespräch vorne im Auto richtig verstanden habe, werde ich zu meinen Lebzeiten sicher nicht wieder nach Faistenau kommen.

Aber das nächste Ziel habe ich sofort erkannt, als der Wagen in die Sackgasse abbog: Frauchens Zuhause.
Hier stimmt die Küche, und das nicht nur für die Zweibeiner! Frauchens Vater hat immer etwas Leckeres für mich und auch ihre Mutter läßt mich gerne probieren (Bild 14). Die Zucchini hat mir allerdings nicht so richtig geschmeckt; die eigens für mich gekochten Kartoffeln finde ich viel besser. Spazierengehen wird dagegen immer schwieriger, weil immer mehr Häuser die Felder verdrängen und im Wald immer neue Zäune gezogen werden.

Heute liege ich wieder verschlafen unter meinem Schreibtisch, Frauchen ist im Büro, Herrchen tippt an meiner Seite und ich erhole mich von unendlich vielen Streicheleinheiten, Fellpflegestunden und anderen Genusseinheiten. Das ist auch wieder schön.

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